im Familienmagazin Lieslotte Feb./Mrz.22

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© DKSB/Susanne Tessa Müller

Die Begegnung mit dem Marshmallow – eine Geduldsprobe

Die Vorsitzende des Kinderschutzbundes Augsburg, Frau Nazan Simsek, im liesLotte Gespräch…

Auch wenn Kinder viel Freude bereiten, uns überraschen und unser Herz erwärmen, so kann die Erziehung hin und wieder auch zur Geduldsprobe werden. Dabei haben Kinder ein anderes Gefühl von Zeit. Sie leben im Hier und Jetzt, während wir Erwachsene eine Liste von to does haben, geprägt von Zeitdruck, So fällt es dann schwer, geduldig zu sein, zu warten und zu ertragen. 

Geduld hat was mit der eigenen Erwartungshaltung in einer konkreten Situation zu tun. Der Geduldsfaden reisst, wenn das Geschehnis um einen herum, nicht der eigenen Erwartung entspricht. Geduldig sein bedeutet Selbstkontrolle, Kontrolle der eigenen Impulse und Frustrationskontrolle.

Bei Kindern braucht man ein Gläschen voll Weisheit, ein Fass voll Klugheit und ein Meer voll Geduld“ (Zitat Franz von Sales). Der Entwicklung des Kindes ist auch das Erlernen von Geduld immanent. Kinder bedürfen dabei der Stärkung und Förderung, bedenkt man, dass die Entwicklung der kognitiven und emotionalen Fähigkeiten des Kindes mit Herausforderungen verbunden ist. Will man dem Kind Geduld beibringen, braucht man selbst Geduld.

Kinder spüren und definieren aus dem Bauch, sie befinden sich primär in ihrer Gefühlswelt. Kinder sind geduldig, wenn das Warten positiv besetzt und ein gutes Gefühl damit verbunden ist. Kleine Kinder haben noch kein ausgeprägtes Zeitgefühl. Wird das Warten mit bestimmten Dingen bzw. Handlungen verknüpft, ist es für diese greifbarer und verständlicher. Dies kann z.B. das angekündigte Vorlesen nach dem Pyjama anziehen sein. Da die Eltern die wichtigsten Bezugspersonen für das Kind sind, sind diese auch die Geduld betreffend, Vorbild für das Kind. Kinder beobachten ihre Eltern und ahmen diese nach. Wollen wir Kindern Geduld beibringen, so ist es wichtig, ihnen Geduld vorzuleben. Denn „Kinder machen nicht das, was wir sagen, sondern das, was wir tun“ (Zitat Franklin P. Jones)

Im Grundschulalter wird die Geduld umso wichtiger. Die Unterrichtsstunde auf dem Sitzplatz auszuhalten, erst zu sprechen, wenn man aufgerufen wird, auf die Pause zu warten, verlangt von den Kindern Selbstkontrolle. Zahlreiche Studien belegen, dass Geduld ein wichtiger Faktor für den Erfolg ist. Langzeituntersuchungen haben ergeben, dass Geduld in Form von Ausdauer und Ruhe eher zum Erfolg führt, als reine Intelligenz. Berühmt und viel zitiert ist das Marshmallow  – Experiment von Walter Mischel Ende der 60er Jahre. Um die Willenskraft von Kindern zu messen, setzte er jeweils ein Kind zwischen 4-6 Jahren in einen Raum mit einem Marshmallow auf einem Teller an den Tisch. Das Kind erhielt die Wahl, das  Marshmallow sofort zu essen oder zu warten und dafür später zwei zu erhalten. Herr Mischel ging sodann aus dem Raum und versicherte bald wieder zu kommen. An dieser Untersuchung nahmen über 500 Kinder teil. Inzwischen fanden zahlreiche weitere Forschungen statt, mit dem Ergebnis, dass Geduld und Ausdauer das Talent und die Intelligenz übertreffen. Es wurde festgestellt, dass geduldige Schüler selbstbewusster sind, mit Niederlagen besser umgehen konnten, aufgrund ihrer Ausdauer ihr Ziel besser erreichen.

Geduld ist auch für uns Erwachsene erlernbar. Geduld hat viele Gesichter, z.B. der Verzicht auf Konsum, die Ausdauer, das Aushalten negativer Gefühle, die Selbstkontrolle, das Wahren der inneren Ruhe in herausfordernden Situationen. Dabei versteht sich Geduld nicht passiv, auch nicht aufzugeben, bedeutet vor allem, mit sich selbst geduldig zu sein.  Auf Konsum zu verzichten bedeutet, auszuhalten, nicht jedem Trend oder neuem Gerät nachzueifern und zu erwerben. Auch sparen ist Geduld.

„Will man Kindern verständlich Geduld vermitteln, darf man nicht verlernen, die Welt mit den Augen eines Kindes zu sehen“ (Henry Matisse)