Kinder brauchen soziale Kontakte, Bildung, Chancengleichheit

Die Vorsitzende des Augsburger Kinderschutzbundes spricht im Interview am 21.1.21 mit dem Bayerischen Rundfunk über mangelnde Umsetzung der Kinderrechte durch Corona-Schutzmaßnahmen.

Hier der veröffentlichte Artikel auf der Homepage des Bayerischen Rundfunks:

Wissenschaftler warnt vor Bildungskatastrophe

Kindergärten und Schulen bleiben als Maßnahme gegen das Coronavirus geschlossen. Der Augsburger Erziehungswissenschaftler Klaus Zierer befürchtet schwere Folgen für die Bildungsgerechtigkeit. Auch der Kinderschutzbund schlägt Alarm.

Der Lockdown verlängert, Distanzunterricht an den Schulen, nicht mehr als Notbetreuung in den Kindergärten und Krippen: So sehen die Corona-Maßnahmen nach dem Bund-Ländergipfel vom Mittwoch aus. Ziel ist es, die Ausbreitung des Virus unter Kontrolle zu bekommen. Pädagogen und Kinderschützer warnen jedoch vor schweren Folgen von Notbetreuung und Fernunterricht bei Kindern und Jugendlichen. Der Augsburger Erziehungswissenschaftler Klaus Zierer sieht deren Entwicklung ebenso in Gefahr, wie die Vorsitzende des Kinderschutzbundes in Augsburg, Nazan Simsek. Zierer spricht von einer drohenden „Bildungskatastrophe“.

Simsek: Kinder brauchen soziale Kontakte und direkte Interaktion

Nazan Simsek, erste Vorsitzende des Kinderschutzbundes in Augsburg, zeigte sich nach den Corona-Beschlüssen von Bund und Ländern im BR-Interview enttäuscht. Simsek fordert, Kindergärten und Schulen so schnell wie möglich zu öffnen. Sie habe gehofft, dass die Politik diese Notwendigkeit erkennt. Gerade im Kindergarten- und Grundschulalter seien Kinder auf soziale Kontakte und direkte Interaktion angewiesen.

Kinderschützerin: Bildung ist Aufgabe des Staates

Insgesamt sieht Simsek durch die Schließung der Schulen die Bildungsgerechtigkeit in Deutschland in Gefahr. „Bildungsgerechtigkeit ist die Aufgabe des Staates“, sagt Simsek im BR-Interview. Die Vorsitzende des Kinderschutzbundes in Augsburg fordert, die Situation von Alleinerziehenden und die begrenzten Möglichkeiten vieler Familien stärker zu berücksichtigen: „Wir müssen uns einfach klar darüber sein, dass eine durchschnittliche Familie eben nicht in einem Einfamilienhäuschen mit Garten lebt, mit ausreichend Raum und Ausstattung.“ Sehr viele Kinder lebten in beengten Verhältnissen und ohne die nötige technische Ausstattung, äußert sich Simsek besorgt. Die Schere der Bildungsgerechtigkeit gehe deshalb mit jedem Tag immer weiter auf. „Das macht mir sehr große Sorgen, weil dadurch die Kinderrechte nicht umgesetzt werden können“, beklagt Simsek.

Erziehungswissenschaftler Zierer erwartet „Bildungskatastrophe“

Der Augsburger Erziehungswissenschaftler Professor Klaus Zierer spricht von einer „Bildungskatastrophe in Deutschland“. Diese sei „kaum mehr abzuwenden“, erklärte er im Interview mit dem BR-Studio Schwaben. Der Distanzunterricht per Laptop habe bei Weitem nicht die Qualität von Präsenzunterricht. Lernen und Bildung seien soziale Prozesse, die der Distanzunterricht nicht ersetzen könne, begründet Zierer seine Warnung. Er betont außerdem, dass Kinder aus bildungsnahen Familien besser mit dem selbstständigen Lernen zurechtkämen als Kinder aus bildungsfernen Milieus. Die Schäden für deren Lernverhalten und Lernmotivation seien schon jetzt maximal dramatisch.

Zierer bemängelt Umsetzung an den einzelnen Schulen

Dabei erkennt Zierer beim Homeschooling durchaus auch positive Ansätze. Das Kultusministerium in Bayern habe dem Lehrpersonal sinnvolle Handreichungen für den Unterricht unter diesen Bedingungen gegeben. Deren Umsetzung aber sieht der Augsburger Erziehungswissenschaftler nicht gesichert. Manche Schulen hätten die Zeit vor dem zweiten Lockdown genutzt und eigene Unterrichts-Methoden erarbeitet, andere hätten das verschlafen. Langfristig werde das negative ökonomische Folgen für das ganze Land haben, prognostiziert Zierer.

Simsek fordert mehr Gehör für Kinder-Experten

Die Augsburger Kinderbundvorsitzende Nazan Simsek fordert Bund und Länder auf, Kinderpsychologen, Sozialwissenschaftler und Pädagogen bei den Entscheidungen über Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie mehr einzubinden. „Natürlich haben alle ein Interesse daran, dass wir diese Pandemie eindämmen und auch tatsächlich in den Griff bekommen. Das steht völlig außer Frage“, betont Simsek. Die Entwicklung von Kindern lasse sich aber nicht aussetzen, sagt die Familienrechtlerin und ergänzt: „Alles, was ich in meiner Kindheit erlebe, prägt mich umso mehr. Deshalb ist es wichtig, dass die Kinderrechte effektiver umgesetzt werden.“